Bewusstsein ist verkörpert

Petra Sterry im Gespräch mit Thomas Fuchs, Karl-Jaspers-Professor für Philosophie und Psychiatrie, Leiter der Sektion „Phänomenologische Psychopathologie und Psychotherapie“, Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Heidelberg

Petra Sterry (PS): In den letzten Jahren habe ich mich in meiner Arbeit sehr intensiv mit den inneren Zuständen des Menschen und mit Emotionen auseinandergesetzt. Dabei hat sich gezeigt, dass die Methode, die ich anwende, nämlich die der Introspektion, wesentlich ist, um über Gefühle und über das innere Erleben etwas sagen zu können. Es ist der Blick aus der eigenen, aus der subjektiven Perspektive, durch den ich die Welt erfahren und beschreiben kann. Wie definieren Sie Subjektivität, und warum ist Subjektivität so wichtig?

Thomas Fuchs (TF): Damit haben Sie natürlich schon eine Grundfrage der Philosophie aufgeworfen, die sich wirklich nicht in einer Definition einfach beantworten lässt, das muss ich vorsichtshalber vorausschicken. Subjektivität bezeichnet die Tatsache, dass sich das Erleben und das Bewusstsein nur findet gebunden an ein Zentrum von Erleben, an ein Zentrum von Bewusstheit, dass also alles, was erlebt wird, für ein Subjekt erscheint, und dass das Subjekt sozusagen der Bezugspunkt, der Referenzpunkt allen Erlebens ist. Subjektivität ist in diesem Sinne auch als Zentralität zu fassen. Das heißt, die Bezogenheit allen Erlebens auf ein Zentrum, von dem aus Erlebens- und Bewegungsrichtungen ausstrahlen, auf das aber auch die Affektionen, die Wahrnehmungsrichtungen von außen einstrahlen. So würde ich es einmal versuchsweise formulieren. Subjektivität ist damit Voraussetzung für alles Erleben. Es gibt kein anonymes Erleben, kein anonymes Bewusstsein, und Subjektivität geht insofern auch immer einher mit einem Selbsterleben. Das Zentrum des Erlebens ist nicht nur sozusagen ein geometrischer Punkt, sondern was erlebt wird, ist „für mich“, und ich bin mir meiner selbst im Erleben inne. Wenn ich Sie also jetzt auf dem Bildschirm sehe, mit Ihnen in Kontakt bin, dann kann ich ganz in meinen Worten und im Gespräch mit Ihnen aufgehen. Trotzdem bleibt immer ein Zentralitätsgefühl, ein Selbstempfinden, das das Ganze begleitet und einfasst. Ich verschwinde nicht im Erleben, im Wahrgenommenen oder in meinen Gedanken, sondern es bleibt immer ein letztlich auch leibliches Selbsterleben im Hintergrund, das diese Wahrnehmungen und Handlungen, dieses Sprechen gewissermaßen trägt. Also ist Subjektivität kurz zusammengefasst Zentralität, Perspektivität allen Erlebens, und es ist zugleich Selbstsein, Selbst-Innesein allen Erlebens.

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Thomas Fuchs, Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Eine phänomenologisch-ökologische Konzeption. Kohlhammer, Stuttgart 2008