Der Prinz und die Königin, das Männlein im dunklen Wald – ein angebissener Apfel, zeitlos-bekannte Gestalten und Versatzstücke unserer Märchenwelt irrlichtern durch Petra Sterrys Textbilder und Zeichnungen. Mal können wir es anscheinend ganz konkret fassen, das – nie tatsächlich genannte Rumpelstilzchen – „in einem dunklen Garten“, mal bleibt die Assoziation recht vage, wie beim „cronprinz algo“, dessen wahre (Namens-)Herkunft aus einem obskuren halb wissenschaftlichen, halb pornografischen Bändchen nicht wirklich wesentlich ist: Auch ohne dieses Wissen schwimmt die Leserin schon in einem weit offenen Assoziations-Meer.
Doch mit jedem Hinweis, den die Künstlerin auf diese aus Ebenen der Kindheitserinnerungen herübergeretteten Motive gibt, führt sie uns zugleich ein Stück in die Irre, verwirrt und vermischt geschickt Spuren verschiedener Handlungsstränge – was macht Rumpelstilzchen mit dem Apfel? Und war es nicht ein Bäumchen, das sich schüttelte? „Prinzessin Dunkelschön“ – so zart wie jene auf der Erbse, mit nur einem Schuh wie das Aschenputtel, mit verbundenen Augen, also schlafend wie Dornröschen??? – sehen wir von einer Schlange bedroht: Hier wird gleich eines der eingängigsten christlichen allegorischen Bilder (dem ursprünglichen Sinn widersprechend) zitiert und mit einer Grimm’schen Figur verknüpft, aber damit nicht genug: Die phallische Form der Schlange lässt gleich wieder weitere Assoziationen aufkommen.
Besonders in den großen Schriftbildern von Petra Sterry wird deutlich, dass sie mit der Sprache im doppelten Sinn visuell umgeht: Einerseits werden die Buchstaben zu grafischen Elementen, die die Fläche in einem bestimmten Rhythmus gliedern, andererseits evozieren die Worte/Buchstabengruppen in der von Sterry angewandten Orthografie Ketten von Gedankenverbindungen, die von einer Assoziation zur nächsten, von einem (Bild-)Element zum nächsten führen – und wieder zurück.
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Ganz gegen den Duktus unseres Notationssystems Schrift schafft Petra Sterry aus ihren Wort-Fetzen ein Feld, das in mehrere Richtungen lesbar und verknüpfbar ist. Etwas, das normalerweise Bildschriften vorbehalten ist. Diese Vorgangsweise hat etwas mit der Tradition der visuellen Poesie zu tun: Sowohl das Fragmentieren/Umgruppieren von Worten wie den bewussten Verstoß gegen die Recht-Schreibung und schon gar die bildmäßige Anordnung der Buchstabengruppen haben etwa die Mitglieder der Wiener Gruppe virtuos gehandhabt. Doch eine Imitation der Konsequenz dieser Dichter scheint Petra Sterry gar nicht in den Sinn zu kommen, keine Spur dogmatisch und ohne jeden reformatorischen Eifer kommen ihre Schrifttafeln wie mit sanftem „FLYGEL“ daher, im Aufwind einer zarten Selbstironie…
Und vor diesem Hintergrund spricht auch das fotografische Werk der Künstlerin eine andere Sprache als der erste Eindruck suggerieren mag, seien es nun die „Schnappschüsse“ spielender Kinder, sorgfältig inszenierte Selbstdarstellungen oder „Stilleben“ im Stil einer polizeilichen Spurensicherung. Auch hier finden wir uns vor außerordentlich vielschichtig lesbaren Bildern, deren Verweis auf eine außerhalb der Bilder liegenden Welt durch jede Menge Andeutungen zugleich ermöglicht wie behindert wird. Was für eine „Entscheidung“ bereitet sich vor? In welche Tiefe führt „Das Spiel“? Und die „Quelle der Gedanken“ versetzt uns einen kalten Schauer, wenn sich die Schlangen (vom Baum der Erkenntnis?) gleich einer Medusenfrisur um das Haupt der Künstlerin zu schlängeln scheinen. Zugleich aber entsteht etwas von einer (eisigen) Aura, eine überdimensionale Mandorla, was im Zusammenspiel mit den geschlossenen Augen der Dargestellten einen eigenartigen Eindruck der Erhabenheit, Unverletzlichkeit vermittelt: Der Blick der Medusa nach dem Mord? Oder Schneewittchen scheintot in Erwartung des Prinzen?
Vielleicht geht meine Interpretation des Werkes von Petra Sterry als assoziative Collage unterschiedlichster Mythen zu weit und zu wenig ein auf das Hier und Heute einer jüngeren Künstlerin in Österreich, die Einflüsse, denen sie ausgesetzt ist, die vielfältigen äußeren Bedingungen, die sich – sicherlich auch – in ihren Arbeiten spiegeln. Aber eine Künstlerin, die ironischen Umgang mit einer der Ikonen der Kunst des 20. Jahrhunderts – Duchamps „Akt eine Treppe hinuntersteigend“ – pflegt, gibt Anlass genug, sich ernsthaft mit ihrer Motivwelt aus ready-made-Gestalten zu beschäftigen: Jedes Märchen ist verfügbar – doch im Gegensatz zur Soap-Opera, die auch aus diesem Fundus schöpft, entstehen keine neuen Klischees, sondern „phil mehr“… In jedem Bild wohnt schon ein Gegenbild, eine Abweichung, eine Verschiebung: In der Libido der Lipizzaner, in der Spielplatzidylle ein Drama biblischen Ausmaßes: mutig, mutiger, mutist.