„Elastisch-Sein“ bedeutet unter Spannung nachzugeben, biegsam zu sein. Zurückzuschnellen und vor allem unter Druck nicht zu brechen. Bei Materialien, wie auch bei Menschen auf die man sich verlassen muss, wünscht man sich Eigenschaften, die Stabilität mit Elastizität verbinden; die eine hohe Form der Elastizität und Anpassungsfähigkeit und dennoch eigene Stärke mit sich bringen, um ein Höchstmaß von Überlebensfähigkeit zu garantieren. In der Ausstellung Das elastische Ich der Künstlerin Petra Sterry in der Galerie Rondell in Schwanberg im Frühjahr 2019 versammeln sich Arbeiten aus den letzten 3-4 Jahren. Zum Teil von ihrer, zum Teil von fremder Hand gemacht. So sind da einerseits ihre großformatigen Textarbeiten mit dem Titel Triggerwarnungen, die unter symbolhaften Sternen vier untereinander gereihte Begriffe versammeln. Aus Wortsäulen wie Hass, Streit, Zweifel, Ärger oder Liebe, Neugier, Freude, Lust formulieren sich Kurzgedichte, Gefühlsinseln und in sich steigernde Wort-Ermahnungen.
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Als kalligrafische Wortbilder und Sammlungen von assoziativ zusammengehörenden Wortfamilien evozieren sie widersprüchliche Wahrnehmungsebenen und Stimmungen. Sterry arbeitet in einer zweideutigen Poesie. Sowohl im Schriftbild, wie auch im inhaltlichen Verweis deuten die Arbeiten auf etwas dahinter Verborgenes und Verdrängtes. Durch minimalste Verschiebung legt sie bloß, welche Echos in der Tiefe der visuellen und linguistischen Erfahrung möglich sind. Widersprüche fungieren dabei mitunter als Auslöser, die Mehrdeutigkeiten zulassen. Gerade ihre Undefiniertheit macht sie unheimlich. Schon der Titel der Reihe liest sich als unterschwellige Drohung und verweist auf eine aktuelle Debatte über die Frage des „Unsagbaren“. Der Begriff des „Triggerns“, also Menschen vor möglichen emotionalen Auslösern zu warnen, kommt aus der Psychologie, aus dem Bereich der Verhaltensforschung posttraumatischer Störungen. Eine Trigger-Warnung nennt man eine Anmerkung, die einem Textstück, Video oder Ähnlichem vorausgeht und, so nimmt man an, als Schutzmaßnahme in Internet-Selbsthilfeforen für Vergewaltigungsopfer geboren wurde.
Insbesondere in den USA ist das Triggern eine häufig genutzte Form der widersprüchlichen „Entschärfung“ einer Aussage und führt zu heftigen Diskussionen – auch darüber was in Hörsälen „ungetriggert“ gesagt werden darf.1 Neben Sterrys Triggerwarnungen finden sich mit Tusche gezeichnete Gesichter, abstrahiert und doch ausdrucksstark erinnern sie an Charaktere aus japanischen Mangas. Ihre Verzerrtheit und Überspitztheit macht sie zu Repräsentanten einer Phänomenologie der Emotion, die ebenso dem Unheimlichen wie dem – sprachlich verwandten – Heimeligen verpflichtet sind. Ähnliche mehrdeutige Assoziationen tun sich dem Publikum beim Betrachten der vielen, bemalten und bezeichneten weißen A6 Karten auf, die als einzelne Serien zusammengestellt einen wesentlichen Teil der Ausstellung ausmachen. Mit unterschiedlichen, handschriftlichen Notizen und farbigen Zeichnungen ist da von älteren Menschen und ihren täglichen Gedanken und Empfindungen zu lesen. Es sind teilweise Bemerkungen über das schöne Wetter, oder über Lieblingsbeschäftigungen sowie interessante Tagesaktualitäten, die während der Workshops der Künstlerin mit betagten Menschen entstanden sind und in ihrer physischen und sprachlichen Unmittelbarkeit betroffen machen: Hier ein zitternder Strich, da ein anrührender Fehler der Orthografie, und dazwischen plötzlich die völlig unerwarteten Zeilen über die Schwere einer längst vergangenen, aber bis heute nachhallenden, misshandelten Kindheit. Gemeinsam dringen sie tief ins emotionale Zentrum des Publikums und empathischen Gegenübers ein.
Die Ausstellung Das elastische Ich ist das Ergebnis und die Sammlung von Sterrys Arbeit während des Kunstraum Steiermark Stipendiums der letzten zwei Jahre. Als partizipatives Kunstprojekt angelegt, stehen die postkartengroßen Beiträge im Zusammenhang einer mehrjährigen künstlerischen Forschung über Emotionen und innere Zustände. Bewusst macht sich Sterry ebenso an der Verunklärung der Begriffe Autorschaft und Werk zu schaffen. In ihrer ureigenen „fuzzy art production“ – wie sie das selber nennt – verweist sie auf Zwischenebenen kommunikativer Produktion und Wahrnehmung, in der dem Wesen der Emotion, der Vernunft und der Rolle gesellschaftlicher Erziehung durch die Zusammenarbeit und Expertise der „anderen“ nachgespürt wird. Auf mehreren Ebenen verweist Sterry auf die konkrete Erforschung eines „elastischen Ichs“, sowohl im Publikum wie auch bei ihr als schaffende Künstlerin selbst.
Als erstes und zugleich als letztes Element führt ein mehrzeiliges, umgangssprachliches Gedicht in die Ausstellung ein; mit einfachen Lettern auf ein großformatiges Papier gemalt, ist es von körperlicher Direktheit, alltäglicher Leichtigkeit und sprachlicher Düsterkeit durchzogen und wird zum visuell erfahrbaren Abbild einer Erfahrung von Elastizität: Frei schwebend zwischen Abgrund und Bodenhaftung.